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Urteilsanmerkung zum Thema Erwachsenenadoption

Dr. Andreas Miehler

Anmerkung zu OLG Schleswig v. 01.08.2019 - 8 UF 102/19
veröffentlich in der Zeitschrift ZEV 06/2020 (Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge)

1. Ein 93 Jahre alter verwitweter Mann (Annehmender) wollte einen 43 Jahre alten Mann (Anzunehmender) als Kind annehmen. Zwischen ihnen bestehe ein Eltern-Kind-Verhältnis (EKV). Der Anzunehmende habe vor 14 Jahren in der Firma des Annehmenden begonnen und arbeite dort seit 12 Jahren als Geschäftsführer. Die Beziehung sei zu einer privaten gereift. Zum leiblichen Sohn habe der Annehmende keinen Kontakt mehr. Das Verhältnis des Anzunehmenden zu seinen leiblichen Eltern sei gut.

Der leibliche Sohn wandte im Wesentlichen ein: Der Anzunehmende habe ein intaktes Verhältnis zu seinen Eltern, der Altersunterschied sei zu groß und es bestehe somit kein EKV. Der Adoption stünden eigene Interessen entgegen, da seine Teilhabe am Nachlass des Annehmenden gefährdet würde.

Das AG führte aus: Ein EKV lasse sich nicht feststellen. Ein solches müsse Hauptzweck der Adoption sein. Der leibliche Sohn müsse keine unzumutbare Schmälerung seines gesetzlichen Erbrechts hinnehmen.

2. Die im Ergebnis korrekte Entscheidung des OLG weist dogmatische Schwächen auf.

a) Dies zeigt sich bereits am ersten amtlichen Leitsatz. Für sich genommen ist die Aussage, die Unternehmensnachfolge sei ein anzuerkennendes Motiv, korrekt. Ebenso die Aussage, dass ein familienbezogenes Motiv der entscheidende Anlass für eine Adoption sein müsse. Motive einer Adoption sind jedoch nur dann relevant, wenn ein EKV nicht festgestellt werden kann. Ist ein EKV gegeben, ist die Adoption - unabhängig von den Motiven - immer sittlich gerechtfertigt (OLG München = BeckRS 2019, 22309 Rn. 16 m. w. N.). Nur wenn das EKV (noch) nicht festgestellt werden kann, stellt sich die zusätzliche Frage nach der sittlichen Rechtfertigung der Adoption (Frank/Staudinger § 1767 Rn. 20). Aus Sicht des AG war es somit richtig, sich mit dem Zweck zu beschäftigen - wobei es hier auf das EKV selbst als Zweck abstellt und somit Voraussetzung und Zweck verwechselt -, aus Sicht des OLG nicht, da dieses das Bestehen eines EKV bejahte (Rn. 14 - 17).

b) Ebenso am zweiten amtlichen Leitsatz. Die Aussage, dass ein Altersabstand von 50 Jahren dem Altersabstand zwischen Eltern und leiblichen Kindern noch in etwa entspreche, ist zutreffend. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Frage, die im Rahmen des EKV zu prüfen ist, nicht um ein eigenes Tatbestandsmerkmal.

c) Erfreulicherweise schließt sich das OLG der mittlerweile wohl herrschenden Meinung (OLG München = BeckRS 2019, 22309 Rn. 23 m. w. N.) an, dass ein intaktes Verhältnis zu den leiblichen Eltern einer Adoption nicht per se widerspricht. Dogmatisch korrekt wird die Frage bei der Prüfung des EKV verortet. Unglücklich ist jedoch die Formulierung: “Das Vorhandensein einer intakten Familie mit Kindern bzw. Eltern spricht zwar unter Umständen grundsätzlich gegen das Bestehen“ eines EKV. Sodann fährt das OLG fort: "Davon sind jedoch Ausnahmen möglich.“ In Kombination suggerieren diese Aussagen, ein intaktes Verhältnis zu den leiblichen Eltern führe in der Regel dazu, dass kein EKV zu Dritten entstehen könne. In seiner Pauschalität wäre eine solche Aussage inkorrekt und nicht mit geltendem Recht vereinbar. Das Gesetz anerkennt ein Nebeneinander zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern, ohne dies als eine Ausnahme darzustellen. Es ist stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, ob das intakte Verhältnis zu den leiblichen Eltern dem behaupteten bestehenden - oder sich anbahnenden - EKV entgegensteht.

d) Die Voraussetzungen des Verbots gemäß § 1769 BGB lagen nicht vor. Das Gericht wägt zwischen den Interessen des leiblichen Sohnes und den Interessen der Antragsteller ab. Die erbrechtlichen/monetären Interessen des Sohnes, der finanziell unabhängig ist, überwögen nicht. Die Tatsache, dass der leibliche Sohn nach dem Tode der Mutter keinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hatte, könne nicht berücksichtigt werden, da die Geltendmachung des Pflichtteils dazu geführt hätte, dass die im gemeinschaftlichen Testament zu seinen Gunsten getroffenen Verfügungen nach dem Ableben des Letztversterbenden unwirksam würden. Diese Argumentation ist nicht nachzuvollziehen: Hätte der leibliche Sohn nach der Mutter seinen Pflichtteil geltend gemacht, so stünde ihm nach seinem Vater wenigstens der Pflichtteil zu (sog. Pflichtteilsklausel). Erfolgt nach Adoption die Anfechtung des Testaments aufgrund Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten, ist denkbar, dass der leibliche Sohn nur den Pflichtteil nach seinem Vater erhält, anstatt den Pflichtteilen nach beiden Eltern.

e) Das OLG setzte den Verfahrenswert ohne konkrete Begründung auf € 50.000 fest.

3. Fazit: Ein Altersabstand von 50 Jahren und ein intaktes Verhältnis zwischen Anzunehmenden und seinen Eltern widersprechen einem EKV nicht. Es muss eine Einzelfallprüfung erfolgen. Liegt ein EKV nachweisbar vor, kann aus Sicht des Beraters eine Adoption empfohlen werden. Fälle, in denen sich ein EKV lediglich anbahnt, sind in der Praxis selten. Der Anwendungsbereich dürfte sich auf Fälle reduzieren, in denen ein EKV noch nicht gegeben ist, aber auf Grund sonstiger Gründe (z. B. Alter oder Gesundheit des Annehmenden) ein weiteres Zuwarten nicht möglich ist. In letzteren Fällen ist ein besonderes Augenmerk auf die Darstellung des Zweckes zu legen. § 1769 BGB steht einer Adoption nur in seltenen Ausnahmefällen im Wege. Aus Sicht des leiblichen Kindes ist es sinnvoll, Argumente gegen das Vorliegen der Adoptionsvoraussetzungen vorzubringen. Die erbrechtlichen/finanziellen Folgen ergeben sich aus dem Gesetz und sind nur selten geeignet, das Verbot der Annahme zu begründen. Weiterhin werden die Verfahrenswerte willkürlich festgesetzt, weshalb es dem Berater kaum möglich ist, dem Mandanten die voraussichtlichen Kosten einer Adoption mitzuteilen. Eine gewisse Stringenz und eine konkretere Begründung der Kostenentscheidungen sind wünschenswert.

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